02/07/2024 0 Kommentare
Gedanken zum Karfreitag 2020 von Sarah Schattkowsky
Gedanken zum Karfreitag 2020 von Sarah Schattkowsky
# Kirchenjahr
Gedanken zum Karfreitag 2020 von Sarah Schattkowsky
Meditation zum Ausdrucken (PDF)
GEBET
Eigentlich fehlen heute alle Worte.
Wie soll man Unsagbares sagen?
Wie kann man Unfassbares greifbar machen?
Gott, so viel ist in den letzten Wochen kaputt gegangen.
Alles ist anders. Die Welt ist aus den Fugen geraten.
Einsamkeit und Angst, Unsicherheit und Erschöpfung.
Wie können wir all das aushalten?
Ich weiß, du bist Beschützerin und Tröster,
aber heute frage ich mich: Wo bist du?
Ich bitte dich, zeig deine Liebe und deine Kraft,
damit wir nicht aufgeben,
damit wir Mut haben weiterzumachen,
damit uns die Zuversicht nicht ausgeht.
Für uns hast du so viel hingegeben.
Hör nicht auf. Bleibe bei uns. Lass uns nicht allein.
Amen.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Die Magnolien blühen.
Große blütenschwere Bäume stehen an vielen Orten unserer Stadt. Der Frühling ist da und bahnt sich mit grünen Knospen und zarten Blütenmeeren der Kirschen, Birnen und Mandeln den Weg ins Leben.
Und wir?
Wir sind gerade dazu gezwungen drinnen zu bleiben. Wir sind gerade dazu gezwungen uns mehr mit dem Tod als mit dem Leben auseinanderzusetzen. In diesen Tagen und Wochen der Unsicherheit und der Angst fühlen sich viele Menschen machtlos und einsam. Und unter diesen Umständen begehen wir Karfreitag.
Ohne Gottesdienst.
Jede und jeder für sich allein.
Die Welt steht still.
Alles ist auf einmal anders.
Gott ist tot.
Und draußen blühen die Magnolien.
Die vier Evangelien überliefern uns insgesamt sieben sogenannte Sterbeworte Jesu. Eines davon, vielleicht das dramatischste, steht bei Markus. Am Kreuz ruft Jesus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das ist keine Bitte um Beistand. Das ist kein Flehen, dass Gott ihn nicht allein lassen möge. Es ist ein anklagender Ausruf, der mit einer bitteren Gewissheit verbunden ist.
Gott hat mich verlassen.
Ich bin allein.
Dem Tod preisgegeben.
Warum bist du nicht da?
Jesus ruft, aber Gottes Schweigen hält an. Gott bleibt fern.
Und Jesus stirbt qualvoll am Kreuz.
Ohne Hilfe.
Ohne Antwort.
Sich von Gott verlassen fühlen. Der Welt mit all ihren Schrecken ausgeliefert sein. Das ist das Gefühl des Karfreitags. Und in diesen Tagen fühlen wir das vielleicht sogar mehr als sonst. Warum hast du uns verlassen? Diesem Gefühl standzuhalten, diese Gottesferne auszuhalten, ist fast unmöglich, besonders in Zeiten wie diesen.
Aber ist das so? Ist Gott weg? Ist Gott jemand, der in den schlimmsten Momenten des Lebens einfach abhaut?
Der Evangelist Markus berichtet weiter von einem Mann, der das Geschehene am Kreuz mitangesehen hat. Nachdem Jesus verstorben ist, stellt er fest: „Ja, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen.“ Der Tote am Kreuz wird als göttlich identifiziert. Er ist Sohn Gottes. Das heißt doch aber, dass im Leiden und am Kreuz irgendwie Gott mit drin ist. Das heißt, Gott ist nicht fern. Er hat uns nicht verlassen, ganz im Gegenteil, er steckt mitten drin.
Im Leid.
Im Tod.
Und zwar in all seiner Menschlichkeit. Sogar so menschlich, dass wir das Gefühl haben, alles Göttliche sei fern. In der vermeintlichen Abwesenheit Gottes, treffen wir Gott in innigster Verbundenheit mit uns. Gott ist nicht nur bei uns. Er ist mit uns.
Er leidet mit.
Er stirbt mit.
Er ist ganz und gar bei uns.
Jetzt mögen Sie zurecht fragen, woher ich das weiß. Wie kann ich mir Gottes Nähe denn sicher sein, wenn er mir doch grad so unendlich fern erscheint?
Jesus ruft: „… warum hat du mich verlassen?“ Eine Feststellung. Selbst Gottes Sohn fühlt sich allein und ausgeliefert. Aber Jesus ruft auch: „Mein Gott… “ Er hat Gott offensichtlich weder aufgegeben noch seinen Glauben verloren. Er klagt und zweifelt zwar, aber trotz Passion und Kreuzestod ist da dieses unerschütterliche Vertrauen.
Mein Gott.
In den Momenten größter Anfechtung, Todesangst und Einsamkeit bleibt Vertrauen. Vertrauen hinaus über alles, was wir wissen und nicht wissen.
Vertrauen hinaus über alles, was rational oder logisch ist.
Vertrauen darauf, dass Gott uns in diesen Momenten so nahe ist, dass wir es selber gar nicht mehr wahrnehmen können.
Es bleibt nur eine Ahnung.
Ein Urvertrauen.
Eine Hoffnung.
An diesem Karfreitag richtet sich all unsere Hoffnung besonders auf das Leben. Das mag paradox klingen, aber denken Sie an die prachtvollen Magnolien und den Blütenrausch des Frühlings. Das leben findet einen Weg. Mir sind dabei die Worte des Gedichts „Das Zeichen“ von Schalom Ben-Chorin im Ohr, das auch als Lied den Weg in unser Gesangbuch gefunden haben. „Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, bleibe uns ein Fingerzeig wie das Leben siegt. “
Nach all dem Schmerz und der Todesangst dürfen wir hoffen, dass das Leben zurückkehren wird. Jesus zeigt, dass wir darauf vertrauen können, dass Gott da ist, selbst in den Momenten, in denen sich das ganz und gar nicht so anfühlt.
Trotz Einsamkeit und Krankheit, sind wir nicht verlassen.
Trotz Kontaktverbot und Ausgangssperren sind wir nicht allein.
In unserer heutigen Zerbrechlichkeit sind wir stärker mit Gott und miteinander verbunden denn je. Und selbst heute am Karfreitag dürfen wir schon mit verstohlenem Blick auf das kommende Osterfest schielen. Wir dürfen unserer Zuversicht Raum geben, dass nach Leid und Unglück Auferstehung folgt. Neues Leben. Und dann können wir auch wieder einander in die Arme schließen und wissen, Gott hat uns nicht verlassen.
„Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeit, dass die Liebe bleibt?“
Kommen Sie gut durch diese Zeit und haben Sie Vertrauen.
Das Leben findet einen Weg.
Ihre Vikarin Sarah Schattkowsky
(Foto: Wikipedia - Gemeinfrei)
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