02/07/2024 0 Kommentare
Gedanken zum Ostersonntag 2020 von Christoph Anders
Gedanken zum Ostersonntag 2020 von Christoph Anders
# Kirchenjahr
Gedanken zum Ostersonntag 2020 von Christoph Anders
Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, als er das Brot brach. (Lukas 24,35)
Spaziergänge sind erlaubt. Sofern das Wetter es zulässt und sich die Wandelnden an geltende Vorgaben für Abstand und Personenzahlen halten. Auf den Straßen, am Fließ oder in den Grünflächen der Region sind dieser Tage bei frühsommerlichem Wetter viele Menschen unterwegs. Sie verlassen dankbar die ansonsten verordnete häusliche Enge, den Druck von Giebeln und Dächern. Allein, als Paare oder Familien –nicht jedoch als buntes Gewimmel - genießen sie diese Form verbliebener Bewegungsfreiheit.
Osterspaziergänge im Jahr 2020. Die unwiderstehliche Auf- und Ausbruchs-Stimmung, die in Goethes Osterspaziergang Natur und Menschen gleichermaßen ergreift – sie dürfte uns fremd sein. Zwar gilt längst schon auch in diesem Jahr: Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, zeigt sich ein ohnmächtig gewordener Winter. Aber Hoffnungsglück? Eher Fehlanzeige. Denn andere Umklammerungen halten uns im Alltag unter Corona-Bedingungen umso fester im Griff: Quarantäne, Erkrankungen und Todesfälle, Einschränkungen und Zukunftssorgen. Die Nachrichten, unsere Gedanken und Gespräche kreisen unaufhörlich um diese Themen. Gibt es denn überhaupt Orte, wo wir derzeit aus tiefstem Herzen sagen können: Hier bin ich Mensch, hier darf ich‘s sein? Vermutlich werden auf den diesjährigen Osterspaziergängen – selbst wenn Sonnenstrahlen, Blütenpracht und Vogelgesang uns umgeben – eher nachdenkliche Töne angeschlagen. Wie lange halten die Einschränkungen noch an? Was bedeutet Menschsein unter diesen Umständen? Was war mir vorher wichtig, was ist es jetzt? Wie wird es für uns alle weitergehen? Unter diesen widrigen Umständen wird es doch möglich, kleine Wander-Gemeinschaften des Erzählens zu bilden, Erinnerungen auszutauschen und Erwartungen zu beschrieben an hoffentlich baldige bessere Zeiten.
Biblische Osterwege. Sie sind alles andere als Spaziergänge. Denn auf ihnen liegt nach den Berichten der Evangelien eine besondere Stimmung. Da sind die Frauen. Gezeichnet von der Verzweiflung über den Tod Jesu am Kreuz finden sie das leere Grab. Ein Engel spricht die Verstörten an. Später steht eine einzelne Frau am Ort der Trauer, von Tränen überströmt. Dann spricht der Auferstandene die verzweifelte Maria an: „Frau: Was weinst du?“
Diese und andere Wege und Begegnungen sind geprägt von einem graduellen Umschwung von dunklen in hellere Töne. Spontane Euphorie und unmittelbarer Triumph sind den Auferstehungsberichten fremd. Nach dem leer aufgefundenen Grab, Erklärungen durch himmlische Boten, ersten Berichten durch andere Jünger und Jüngerinnen, ja selbst noch nach ersten Begegnungen mit dem Auferstandenen prägen Verunsicherungen das Verhalten der ersten Zeugen und Zeuginnen. Wege des Verstehens brauchen Zeit, Gespräche untereinander und weitere Begegnungen müssen folgen. Dann erst wächst die Gewissheit: Der Gekreuzigte lebt, Jesus ist auferstanden! Auch wenn mit der sich bahnbrechenden Freude nicht alle Fragen und Unsicherheiten weggewischt sind - eine andere Zukunft hat begonnen!
Mir helfen diese eher verhaltenen Übergangsstimmungen der biblischen Osterberichte. Besonders gilt das für den Weg der Emmaus-Jünger mit seinen verschiedenen Etappen. Zwei Männer tauschen schmerzliche Erinnerungen aus an die gemeinsame Zeit mit Jesus. Sie sind in ihrer Trauer hoffnungslos miteinander unterwegs. Langsam, eher schleppend gehen sie dorthin zurück, wo sie doch alle Zelte abgebrochen hatten. Als ein Fremder dazukommt, fragt, redet und erklärt, da beginnen ihre Herzen zu brennen. Aus der Asche der Hoffnungslosigkeit entsteht langsam neue Glut. Sicher gab es Unterbrechungen beim Gehen, Momente von Zweifel und Rückfragen. Die Schrittgeschwindigkeit dieses Trios dürfte sich zunächst nur unwesentlich erhöht haben. Als sie am Abend ankommen im Dorf, da erkennen sie den Auferstandenen während der Tischgemeinschaft beim Brotbrechen. Als ihnen deutlich wird, was geschehen ist, da gibt es kein Halten mehr. Der spätabendliche Rückweg nach Jerusalem ist kein Nachtspaziergang, sondern eher ein euphorisierter Dauerlauf mit einer antreibenden Freudenbotschaft für die anderen Jüngerinnen und Jünger: „Der Herr ist auferstanden“!
Der bekannte und tänzerisch aufsteigende Kanon zu diesem Oster-Jubelruf hat jedenfalls einen festen Platz in unseren Oster-Gottesdiensten. Wie die meisten Osterlieder schlägt er freudevolle, euphorische Töne an. Es sind Lieder, die vom triumphalen Sieg des Lebens über den Tod künden. Trauer, Schmerz und Leid, selbst der Tod werden als zerstörerische Kräfte quasi nur noch im Rückblick erwähnt. Denn ihre Macht ist gebrochen. Für manche von uns wird die freudevolle Glaubensgewissheit vieler Osterlieder gerade in diesem Jahr stärkend sein.
Mich spricht der Entwurf für ein Osterlied von R.O. Wiemer in diesen Tagen besonders an. Hier wird die Hoffnung auf den Sieg des Lebens über den Tod in eindrucksvollen, behutsamen und nachdenklichen Bildern ausgedrückt:
„Die Erde ist schön, und es lebt sich leicht im Tal der Hoffnung.
Gebete werden erhört. Gott wohnt nah hinterm Zaun. Die Zeitung weiß keine Zeile vom Turmbau. Das Messer findet den Mörder nicht. Er lacht mit Abel.
Das Gras ist unverwelklicher grün als der Lorbeer.
Im Rohr der Rakete nisten die Tauben. Nicht irr surrt die Fliege an tödlicher Scheibe.
Alle Wege sind offen. Im Atlas fehlen die Grenzen. Das Wort ist verstehbar. Wer ja sagt, meint Ja, und Ich liebe bedeutet: jetzt und für ewig. Der Zorn brennt langsam. Die Hand des Armen ist nie ohne Brot.
Geschosse werden im Fluge gestoppt. Der Engel steht abends am Tor. Er hat gebräuchliche Namen und sagt, wenn ich sterbe: Steh auf.“
Vielleicht öffnen sich für uns in diesen Tagen Räume der Hoffnung. Damit wir trotz aller Sorgen jener – ich wage zu sagen: ansteckenden - Osterfreude auf die Spur kommen. Sie möge in uns wachsen, ob in Wohnungen oder auf Oster-Spaziergängen. Denn: „Er ist wahrhaftig auferstanden“!
Christoph Anders, Pfarrer der Kirchengemeinde Waidmannslust
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