Gedanken zum Sonntag Jubilate 2020 von Ute Sauerbrey

Gedanken zum Sonntag Jubilate 2020 von Ute Sauerbrey

Gedanken zum Sonntag Jubilate 2020 von Ute Sauerbrey

# Kirchenjahr

Gedanken zum Sonntag Jubilate 2020 von Ute Sauerbrey

Nicht Jauchzen und Frohlocken – aber ein Fetzen, eine Zeile, ein Stückchen vom großen Lied: Jubilate! 

„Jubilate“, heißt dieser Sonntag, der da auf uns zukommt. „Jubilate“ – singt, jubelt, frohlockt. Aber worüber? Sollen die Eltern frohlocken, denen die Tage zerrinnen zwischen home-schooling und home-office und Existenzängsten?

Sollen die Musiker und Schauspieler jubilieren, die ihre Kunst nur noch vor der Kamera des aufgeklappten Laptops ausüben können? Sollen die Menschen in den Heimen jubilieren, die seit Wochen keinen Besuch mehr bekommen haben?

Wie sollen wir singen, frohlocken, jubilieren – wenn die Gottesdienste am Sonntag Jubilate noch ausfallen müssen und auch am Sonntag Kantate („Singt“), dem 10. Mai, das Singen lieber unterbleiben soll – denn es erfreut nicht nur das Herz, sondern bedeutet auch ein erhöhtes Risiko, infizierte Aerosole in die Luft zu spucken.  Die Ungeduld wächst in diesen Tagen vor dem stillen Sonntag Jubilate. Warum nicht wieder zurück zum normalen Leben? Wo ist es denn, dieses Virus? Es bleibt unsichtbar, ungreifbar, abstrakt. Und bestimmt doch unser Leben in einem Ausmaß, wie es meine Generation noch nie erlebt hat.

Die Ungeduld wächst, und das Gefühl: Wir sind so abhängig. So preisgegeben. Unsere Pläne werden so schnell Makulatur, unsere Gewissheiten sind so wackelig. Wir sind so verletzlich. So schnell können wir in eine Situation kommen, in der wir angewiesen sind auf die Hilfe und die Solidarität anderer. Wir sind abhängig.

Gibt es da Trost? 

Der Predigttext für diesen stillen Sonntag Jubilate spricht auch von Abhängigkeit.

Jesus sagt: „Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt. Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe. Bleibt in mir und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ (Johannes 15,1-5)  

Wir sind so abhängig. So wie die Traube an der Rebe hängt. So wie die Traube all ihre Süße, ihre Farbe, ihren Saft durch die Rebe bekommt. So sind wir abhängig.

So schmeckt Abhängigkeit nicht mehr nach Enge und Angst, sondern nach Fülle und Vertrauen und süß. 

Und auf einmal ist es doch da – noch kein lauter Jubel, aber ein leises Lied klingt in mir. Lässt mich summen, drängt sich auf die Lippen:

„Auf auf, mein Herz mit Freuden….“ Ein Osterlied. Ich muss das Gesangbuch holen und blättern, denn was mir da durch den Sinn geht, hat Paul Gerhard erst in die sechste Strophe gedichtet: 

„Ich hang und bleib auch hangen an Christus als ein Glied; wo mein Haupt durch ist gangen, da nimmt er mich auch mit. Er reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not, er reißet durch die Höll; ich bin stets sein Gesell.“ 

„Ich hang und bleib auch hangen an Christus“, denn der geht mit mir mit, durch Dick und Dünn, durch Leben und Tod, durch die Hölle der Einsamkeit und Existenzangst und wieder zum Leben. Er sitzt nicht irgendwo und schaut zu, wie ich mich abstrampele oder fürchte oder unter Einsamkeit leide. Er geht mit. Ich bin sein Gesell.

Paul Gerhardt hat das 1647 gedichtet, am Ende eines verheerenden Krieges: „Wie kommt nach großem Leiden nun ein so großes Licht….“

In diesem Licht können wir all unsere anderen Abhängigkeiten kritisch überprüfen. All die vermeintlichen Sicherheiten, mit denen wir uns umgeben und die so schnell an ihre Grenzen kommen. 

Und nein, damit meine ich nicht, dass wir uns alle den Mundschutz vom Mund reißen und die Abstandsgebote missachten sollen. Ich meine: Wenn diese Krise für irgend etwas gut ist, dann dazu, uns zu zeigen, was uns wirklich hält und trägt. An was wir uns wirklich hängen können, was uns nährt und Kraft gibt und Süße. Wie die Rebe sie der Traube gibt. 

Am Sonntag will ich mir Zeit nehmen, darüber nachzudenken. Und vielleicht kommt dann wieder ein kleines Lied. Kein lauter Jubel, kein Jauchzen und Frohlocken - aber ein Fetzen, eine Zeile, ein Stückchen vom großen Lied: „…nun soll mir nicht mehr grauen / vor allem, was mir will / entnehmen meinen Mut…“ (EG 112)  

Ute Sauerbrey, Pfarrerin der Kirchengemeinde Lübars

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