Gedanken zum Herbstferienbeginn von Ute Sauerbrey

Gedanken zum Herbstferienbeginn von Ute Sauerbrey

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Gedanken zum Herbstferienbeginn von Ute Sauerbrey

Es sind zerbrechliche Gebilde aus Reispapier oder Fallschirmseide, aus Holzlatten oder dünnen Metall-Streben. Sie sind sperrig und ein bisschen schwer zu handhaben, weil sie lange Schnüre habe und Ösen, die sich schrecklich verheddern können. Aber wenn man sie freilässt, an einem frischen Herbsttag mit gutem Wind, dann werden sie auf einmal stolz und schön, entfalten sich und können fliegen – oder zumindest schweben: die Drachen, die jetzt ihre Jahreszeit haben.

Auf der „Lübarser Höhe“, wie der Müllberg offiziell heißt, kann man sie jetzt beobachten: Die klassischen Drachen in Diamant-Form, mit freundlichem Gesicht und langem Schwanz. Lenkdrachen, die wie böse Düsenjäger bei starkem Wind mit gefährlichem Knattern hin und her schießen. Drachen die aussehen wie fliegende Luftmatratzen, quadratische, sechseckige, fliegende Pinguine gibt es und jede Menge andere Tiere.

Wenn der Wind flau ist, sieht man quengelnde Kinder, entnervte Eltern, die im Dauerlauf den Drachen hinter sich herziehen, damit er an Höhe gewinnt, und trudelnde Drachen.

Wenn guter Wind ist, können sie unglaublich hoch steigen. Die dünne Schnur verschwindet gegen den hellen Himmel, und man kann gar nicht mehr genau sagen, welcher Mensch unten auf dem grünen Hügel zu welchem Drachen gehört.

Als Kind konnte ich beim Drachensteigen eines nicht begreifen: Dass der Drache abstürzt, wenn ich die Schnur loslasse. Er müsste doch fliegen, immer höher, immer weiter, endlich befreit von der Schnur, die ihn noch auf der Erde hält. Aber der Drache braucht genau diesen Halt unten auf der Erde. Er muss sich gegen den Widerstand, mit dem ich die Schnurrolle festhalte, und gegen den Wind in die Luft erheben. 

„Immerfort zum Himmel reisen, irdisch noch schon himmlisch sein“ – diese Zeile aus einem alten Lied kommt mir in den Sinn, wenn ich den Drachen zuschaue (Nummer 384 im Gesangbuch). Irdisch und himmlisch zugleich sind sie. Gerade in ihren Höhenflügen angewiesen auf einen festen Halt, eine straffe Schnur, die sie mit dem Boden verbindet. Damit sie fliegen können und frei sein. Nur wenn die Erdung stimmt, verwandeln sie sich von schlaffen und leicht verhedderten Gesellen in stolze, aufrechte Gebilde, die mühelos große Höhen erreichen. Und ich am anderen Ende der Schnur, den Kopf in den Nacken gelegt, den Blick fest auf meinen Drachen gerichtet bekomme auch ein Gefühl dafür, wie das ist: irdisch noch schon himmlisch sein.

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